Rezensionen

„Herausragend und berührend“– Eine Rezension von Friedhelm Hengsbach

Wigbert Tocha: Tugenden. Eine Anstiftung für das 21. Jahrhundert. Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag 2018. 217 Seiten

Der Krisenalarm, dass staatliche Macht zerfällt, Konzernstrukturen zerfasern und gewerkschaftliche Organisationen schrumpfen, weckt die Rückbesinnung auf persönliche Tugenden, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt festigen. Wigbert Tocha hat mit seinem Buch „Tugenden – Eine Anstiftung für das 21. Jahrhundert“ dazu einen eindrucksvollen Beitrag geliefert. Er kann sich auf den Rat Mahatma Gandhis berufen: „Wenn du dich selbst veränderst, wird sich auch die Welt um dich herum verändern.“ Papst Franziskus denkt ähnlich, dass Strukturreformen allein ohne persönliche Umkehr ein leeres Gehäuse bleiben.

Im ersten Teil skizziert der Autor Merkmale der Tugenden. Sie sind das Vermögen, gut zu handeln, haben jenseits technischer und instrumenteller Verdinglichung ihren Zweck in sich selbst und eine universelle Weite. Sie bilden eine Schnittstelle zwischen der privaten und der politischen Sphäre. Die griechische Philosophie nennt vier „große“ Tugenden: Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß. Ihr weltweit erkennbarer Kern ist in der Goldenen Regel formuliert: Tue nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun.

Der Glanz der Publikation im zweiten Teil besteht jedoch in der Entfaltung von sieben Tugenden, die für das 21. Jahrhundert relevant sind auf  gesellschaftliche Herausforderungen antworten: Politisch, ökologisch das rechte Maß finden, ohne zu übertreiben oder untätig zu bleiben; gute Manieren und Umgangsformen zeigen; als Künstler und Künstlerin kreativ sein; sich entschleunigen und unterbrechen; gerechten Zorn empfinden; Frieden schaffen. Herausragend, einfühlsam und berührend finde, wie der Autor die dritte Tugend schildert – die Freundschaft, das Freundin- und Freund-Sein, die erotischen Beziehungen. Als Aspekte gelingender Freundschaft und erotischer Liebe nennt er Fürsorge, Verantwortung für- und Achtung voreinander sowie Selbstachtung. Der Seinsmodus auf Augenhöhe, das Begehren und Befreien bestimmen die Atmosphäre, sie vertreiben die Sackgassen des Habenwollens, der Täuschung, des Nutzens und digitaler Technik.

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ ist Sozialwissenschaftler und Gesellschaftsethiker.